Finanzen

Kommunale Finanzen in der Krise – Deutschlands Städte am Limit

Die kommunalen Haushalte in Deutschland stehen am Scheideweg: Das Jahr 2024 markierte einen historischen Einschnitt mit einem Negativsaldo, der in dieser Höhe noch nie zuvor erreicht wurde. Die sorgfältige Analyse aktueller Daten, Pressemitteilungen und Fachstimmen zeigt die Ursachen, regionale Unterschiede und politische Lösungsansätze sowie konkrete Beispiele.

1. Aktuelle Finanzlage der Kommunen

Im Jahr 2024 gerieten die Kommunen deutschlandweit in ein Rekorddefizit von etwa 24,8 Milliarden Euro, was eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Bis 2022 verzeichneten die Kommunen Überschüsse – der neue Fehlbetrag stellt eine Zeitenwende dar, wie die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) im „Kommunalen Finanzreport 2025“ betont.

Die Gründe sind eindeutig: Die Ausgaben explodierten um rund 10 % – besonders der laufende Sachaufwand stieg binnen zwei Jahren um 25 %. Die Personalkosten haben sich in einem Jahrzehnt verdoppelt, zuletzt bedingt durch Stellenaufbau und hohe Tarifabschlüsse, während die Sozialausgaben regional wie bundesweit binnen zwei Jahren um ein Viertel auf 85 Mrd € zulegten.

Dagegen blieben die Einnahmen nahezu stagnierend. Schwächelnde Konjunktur bremste das Gewerbesteueraufkommen – die kommunalen Steuereinnahmen stagnierten nominal, was inflationsbereinigt einen Kaufkraftverlust bedeutet.

2. Ursachenanalyse: Belastungen, Kürzungen und strukturelle Faktoren

Ein zentraler Treiber der Krise sind bundesgesetzlich verordnete Sozialleistungen, wie Bürgergeld, Jugendhilfe oder Teilhabegesetze, die nicht in voller Höhe finanziert werden. Der Städte- und Gemeindebund macht deutlich, dass viele dieser Leistungen „höchste Standards setzen“, ohne dass Bund und Länder die Finanzierung sicherstellen – ein klarer Fall von „Land bestellt, Kommunen zahlen“.

Medienberichte führen konkrete Beispiele an: In Heeseberg (Niedersachsen) musste die Gemeinde eine neue Schule für etwa 15 Mio € bauen – Gelder fehlten, weshalb wieder Kredite aufgenommen wurden. Eine Kommune pro Kopf hoch verschuldet (~11.000 €). In Tübingen führte eine Kombination aus sinkenden Einnahmen, steigenden Sozialausgaben und Tarifabschlüssen (10,5 % Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst) zu einem Haushaltsminus von 40 Mio € bereits 2025, obwohl 2023 noch ein Überschuss von 20 Mio € erzielt worden war. „Bund und Länder erlassen immer neue Gesetze … und wir an der Basis müssen diese einklagbaren Vorgaben umsetzen und finanzieren.“

3. Investitionsstau und Infrastrukturdefizit

Die kommunalen Investitionen erreichten 2024 mit rund 52 Mrd € einen Höchststand – doch trotz dieses Rekords wuchs der Investitionsstau auf etwa 216 Mrd € an, da die realen Baukosten durch Inflation rapide zogen.

Diese Unterinvestition trifft insbesondere Schulen, Kitas, Straßen, Brücken und digitale Infrastruktur, die vor dem Hintergrund der Klimaanpassung, Digitalisierung und demografischen Veränderung dringend saniert oder ausgebaut werden müssten.

4. Regionale Disparitäten: Wer ist besonders betroffen?

Die Unterschiede zwischen Kommunen sind eklatant. Kommunen in Bayern, Hessen und Baden‑Württemberg finanzieren über 40 % des Haushalts aus eigener Steuerkraft. Im Gegensatz dazu liegt sie in vielen ostdeutschen Kommunen bei unter 25 %.

Die Folge: Viele ostdeutsche Gemeinden sind besonders abhängig von Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich und haben kaum eigene Spielräume. Professor René Geißler warnt, dass die schiere Belastung der Aufgaben bei geringer Eigenkraft zu nachhaltiger Überschuldung führen kann.

Ein konkretes Beispiel: Monheim am Rhein wies jahrelang Haushaltsüberschüsse auf und war schuldenfrei – doch seit 2022 nimmt die Schuldenlast wieder dramatisch zu. Bis 2024 wuchs sie auf rund 370 Mio €, mit einem Haushaltsdefizit von 86 Mio € für 2025 prognostiziert.

5. Politische Wahrnehmung und Umfragen

Das OB-Barometer 2025 vom Deutschen Institut für Urbanistik zeigt: Kommunalfinanzen sind das mit Abstand wichtigste Thema bei Oberbürgermeister:innen. 70 % sahen dies als drängendstes Thema – doppelt so häufig wie Wohnen oder Integration. Und erstmals in der Befragungsgeschichte erhielt kein anderes Thema so viele Nennungen.

Zu 81 % fordern die Stadtspitzen Unterstützung der neuen Bundesregierung in Finanzfragen, insbesondere durch ein Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität.

6. Lösungsansätze: Reformbedarf und politische Forderungen

Die Bertelsmann Stiftung schlägt mehrere Maßnahmen vor: Eine grundlegende Neuregelung der kommunalen Finanzierung, ein verstärktes Engagement des Bundes bei der Übernahme von Soziallasten sowie ein klar abgegrenzter Katalog kommunaler Pflichtaufgaben mit Finanzierungspflicht der Gesetzgeber.

René Geißler bringt es auf den Punkt: „Kommunen müssen handlungsfähig bleiben – andernfalls drohen Demokratiedefizite durch Rückbau öffentlicher Daseinsvorsorge.“ Städte dürfen nicht zur „Vollzugsbehörde überlasteter Sozialpolitik“ werden.

Der Deutsche Städtetag fordert ein Investitionspaket des Bundes über mindestens zehn Jahre, das gezielt in Bildung, Digitalisierung und Klimaschutzprojekte fließt. Gleichzeitig müsse über die Gewerbesteuer diskutiert werden – entweder gestärkt oder durch eine neue Form kommunaler Steuerbeteiligung ersetzt.

7. Ausblick: Gefahr für Demokratie und Lebensqualität?

Kommunale Finanzprobleme sind mehr als nur Buchhaltung. Sie betreffen direkt das tägliche Leben der Menschen: Schwimmbäder schließen, Busverbindungen fallen weg, Anträge bleiben unbearbeitet. Dies schürt Unzufriedenheit, fördert Politikverdrossenheit – und wird nach Einschätzung vieler Bürgermeister:innen auch zum Nährboden für Rechtspopulismus.

Die Zukunft der Städte und Gemeinden hängt daher entscheidend davon ab, wie rasch und umfassend Bund und Länder gegensteuern. Nur mit einem fairen, nachhaltigen Finanzsystem lässt sich die kommunale Handlungsfähigkeit sichern – und damit die demokratische Basis des Staates erhalten.

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