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Öko-Fonds zwischen Rüstung und Ethik: Geschlechter im Blick

Nachhaltig investieren und gleichzeitig an der Börse von Rüstungsaktien profitieren – was vor wenigen Jahren als Widerspruch galt, ist in Europas Fondslandschaft Realität geworden.

Eine Kombination aus geopolitischer Zeitenwende, regulatorischen Leitplanken und veränderten Anlegerpräferenzen hat dazu geführt, dass selbst Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen vereinzelt Verteidigungsunternehmen halten. Parallel zeigen neue Umfragedaten: Frauen und Männer definieren „Nachhaltigkeit“ teils sehr unterschiedlich. Dieser Artikel ordnet die Entwicklung ein, zeigt die wichtigsten Zahlen und erklärt, wie Sie als Anlegerin oder Anleger die Spreu vom Weizen trennen.

Zeitenwende in den Portfolios: Rüstungswerte in ESG-Fonds

Analysen von Research-Häusern zeigen, dass nachhaltige Aktienfonds in Europa seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine 2022 ihre Allokation in die Kategorie „Luft- und Raumfahrt & Verteidigung“ deutlich erhöht haben. In Summe genügt oft schon eine kleine Beimischung, um in einem breiten, nach ESG-Kriterien gefilterten Portfolio aufzutauchen. Unter aktiven ESG-Aktienfonds lag die durchschnittliche Rüstungsquote im Frühjahr 2025 bei rund 1,9 Prozent; unter nicht-ESG-Fonds waren es 2,3 Prozent. Bei passiven ESG-Fonds lag die Quote bei etwa 0,6 Prozent gegenüber 1,7 Prozent bei passiven Nicht-ESG-Fonds.

Gleichzeitig investiert inzwischen ein relevanter Teil nachhaltiger Fonds überhaupt in Verteidigungstitel. Eine Auswertung für Europa kommt auf einen Anteil von gut zwei Fünfteln ESG-Fonds mit entsprechender Exponierung – ein Niveau, das noch 2021 unvorstellbar schien. Damit verschwimmen die alten Trennlinien zwischen „grün“ und „grau“: Nicht mehr jede Strategie mit ESG-Label schließt Rüstungsaktien kategorisch aus; vielmehr hängt vieles von konkreten Ausschlussregeln und Umsatzschwellen ab.

Regulatorik: 80/20-Regel und Klarstellungen aus Brüssel

Ein Treiber der Entwicklung sind präzisere, europaweit einheitliche Vorgaben, wie Fonds, die Begriffe wie „ESG“, „nachhaltig“ oder „Impact“ im Namen tragen, investiert sein müssen. Die europäischen Aufseher verlangen, dass mindestens 80 Prozent der Anlagen mit den beworbenen Nachhaltigkeitsmerkmalen übereinstimmen. Umgekehrt dürfen bis zu 20 Prozent davon abweichen – ohne dass dies automatisch ein Greenwashing darstellt, sofern die Abweichung transparent ist.

Hinzu kommt eine Klarstellung der EU-Kommission zum nachhaltigen Finanzrahmen: Weder die Offenlegungsverordnung noch verwandte Regeln schließen den Verteidigungssektor pauschal von der Finanzierung aus. Entscheidend ist die Einhaltung der geltenden Verbotsnormen (z. B. für geächtete Waffen) und die Bewertung im Einzelfall. Praktisch bedeutet das: Ein Fonds kann Rüstungsunternehmen halten und dennoch als Artikel-8-Produkt („Fördert Umwelt-/Sozial-Merkmale“) gelten – solange die beachteten Nachhaltigkeitskriterien stimmig eingehalten werden.

Wie Frauen und Männer Nachhaltigkeit gewichten

Parallel verändert sich die gesellschaftliche Debatte. Besonders deutlich werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn es um die Frage geht, ob Rüstungswerte in nachhaltigen Fonds akzeptabel sind. Laut einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage (Mai 2025) befürworten 53 Prozent der Männer, dass nachhaltige Fonds in Rüstungsunternehmen investieren dürfen; bei Frauen sind es 35 Prozent. Für 25 Prozent der Frauen ist ein solches Investment ein klares „No-Go“, bei Männern sagen das 17 Prozent.

Noch klarer trennen sich die Prioritäten, wenn man die einzelnen Nachhaltigkeitskriterien betrachtet. Frauen nennen besonders häufig den Verzicht auf Tierversuche (47 Prozent) sowie den Ausschluss ausbeuterischer Arbeitsbedingungen (41 Prozent) unter ihren Top-3-Kriterien. Männer gewichten hingegen häufiger Klimathemen: CO₂-armes Wirtschaften (20 Prozent) und der Verzicht auf fossile Energieträger (17 Prozent) haben für sie teils höhere Priorität; ebenso gelten Ressourcenschonung (30 Prozent) und der Ausbau erneuerbarer Energien (28 Prozent) als wichtige Leitplanken.

Haltung zu Rüstungsaktien in nachhaltigen Fonds (Deutschland, Mai 2025)
Kategorie Frauen Männer
Zustimmung: „dürfen investieren“ 35 % 53 %
„No-Go“ in nachhaltigen Anlagen 25 % 17 %
Mehrheitliche Ablehnung aus moralischen Gründen (allgemein) 52 % 36 %

Auch die Sprache der Debatte unterscheidet sich. Während Frauen häufiger ethische Mindeststandards („keine Ausbeutung“, „kein Tierleid“) betonen, rahmen Männer Nachhaltigkeit öfter als Transformations- und Klimastrategie („Dekarbonisierung“, „Energiewende“). Die Folge sind unterschiedliche Erwartungshaltungen an Fonds: Für die einen zählt vor allem der Schutz klar definierter Werte, für die anderen die messbare Reduktion von Emissionen auf Portfolioebene – eine Unterscheidung, die Fondsanbieter in Produktunterlagen transparent herausarbeiten sollten.

Stimmen aus Markt und Politik

Die Branche ist in Bewegung – und gespalten. Einige Häuser heben Ausschlüsse auf oder lockern Schwellen. So strich ein großer europäischer Vermögensverwalter 2025 zwei übergreifende Ausschlüsse bei nachhaltigen Fonds: die Umsatzschwelle für Militärausrüstung sowie den Ausschluss nuklearer Aktivitäten. In diesem Kontext sagte der globale Nachhaltigkeitschef: „Nuclear weapons are a critical and credible deterrent to large-scale conflict.“

Andere bleiben bei strengen No-Go-Regeln. So erklärt eine große Nachhaltigkeitsbank: „Die Produktion von Waffen, ihr Export und ihr Einsatz sind nicht nachhaltig! Krieg ist nicht nachhaltig.“ Ein weiterer bedeutender Anbieter betont: „Als nachhaltiger Investor können und wollen wir Rüstung (…) nicht direkt fördern.“ Solche Aussagen zeigen: Selbst innerhalb der ESG-Community gibt es kein einheitliches Rüstungs-Narrativ.

Regulatorisch gilt zugleich: Neue EU-Leitplanken für Fondsnamen sollen Greenwashing erschweren, ohne Transformationsstrategien abzuwürgen. Die 80/20-Regel adressiert genau dieses Spannungsfeld, indem sie hohe Mindestquoten für die beworbenen Nachhaltigkeitsmerkmale vorschreibt, aber einen begrenzten „Spielraum“ für andere Anlagen lässt.

Wie landen Rüstungsaktien in „grünen“ Fonds? Drei typische Wege

  1. Umsatzschwellen statt Total-Ausschluss: Viele ESG-Politiken schließen „kontroverse Waffen“ strikt aus, erlauben aber konventionelle Verteidigung bis zu einer Umsatzgrenze (z. B. 5–10 Prozent). Wird diese Schwelle gelockert oder fällt ganz weg, können Titel wie Hersteller von Militärfahrzeugen oder Systemzulieferer ins Portfolio gelangen.
  2. Indexmethodik mit Branchen-Weiche: ESG-indizierte Benchmarks arbeiten häufig mit Filterkatalogen („Screened“, „SRI“, „Leaders“). Je nach Definition von „Defense“ (z. B. Dual-Use-Technologie, Subsysteme) können einzelne Unternehmen trotz ESG-Siegel im Index bleiben – und damit in passiven Fonds landen.
  3. 80/20-Puffer und Übergangsphasen: Der regulatorische Rahmen verlangt 80 Prozent Bindung an die beworbenen ESG-Merkmale. In der Praxis nutzen manche Fonds den 20-Prozent-Korridor für Risikomischung, Taktik oder Übergangspositionen. Ohne klare Offenlegung droht hier Missverständnis – besonders, wenn Anleger unter „nachhaltig“ einen kompromisslosen Ethikansatz verstehen.

Konfliktlinien in der Praxis: Ethisch, strategisch, sicherheitspolitisch

Die Kernfrage lautet: Ist Verteidigung per se unvereinbar mit Nachhaltigkeit – oder kann sie, als „Schutzgut Sicherheit“, Teil eines ESG-Konzepts sein? Drei Argumentationslinien dominieren:

  • Ethischer Ausschluss: Waffen richten Schaden an und verstoßen gegen das „Do-no-harm“-Prinzip. Diese Sicht führt zu Total-Ausschlüssen, oft entlang scharf gezogener Grenzen (z. B. kein Umsatz mit Militär, zusätzlich Ausschluss „Dual Use“). Sie korrespondiert stärker mit den Prioritäten vieler Anlegerinnen (Tierwohl, Menschenrechte).
  • Sicherheits- und Menschenrechts-Argument: Verteidigung könne Aggressionen abschrecken, Demokratien schützen und damit indirekt Menschenrechte wahren. Unter dieser Prämisse werden konventionelle Rüstungsunternehmen – anders als Hersteller geächteter Waffen – als mit ESG vereinbar interpretiert, sofern Governance- und Lieferkettenrisiken beherrscht werden.
  • Transformations-/Klimapriorität: Für Anleger, die „E“ messbar optimieren wollen, steht oft die Dekarbonisierung im Vordergrund. In dieser Logik wiegen Emissionspfade, Kapitalkosten für grüne Technologien und Engagement-Erfolge höher als sektorale Tabus – eine Haltung, die in Umfragen eher Männer vertreten.

Wie landen Rüstungsaktien in „grünen“ Fonds? Fünf Handlungsempfehlungen für Anleger

  1. Begriffe schärfen: „Nachhaltig“ ist kein Einheitskonzept. Klären Sie zuerst: Suchen Sie Ethik mit Ausschlüssen, Klimawirkung oder breite ESG-Integration?
  2. Produktdokumente lesen: Prüfen Sie die bindenden Elemente und die Ausschlüsse (Kontroverse Waffen? Rüstung allgemein? Umsatzschwellen?). Achten Sie auf Definitionen zu „Dual Use“ und Lieferketten.
  3. Daten statt Etiketten: Fragen Sie nach der tatsächlichen Sektorallokation und den Top-10-Positionen. Eine Rüstungsquote von 1–2 Prozent kann die Rendite beeinflussen – und die persönliche Wohlfühlzone sprengen.
  4. Dialog statt Dogma: Unterschiedliche Wertprioritäten sind legitim. Frauen gewichten häufiger Menschen- und Tierrechte, Männer öfter Klima- und Energiefragen. In der Beratung sollten beide Sichtweisen adressiert werden, ohne sie zu hierarchisieren.
  5. Transparenz über den 20-Prozent-Korridor: Der zulässige Nicht-ESG-Anteil ist kein „Restmüll“. Verlangen Sie eine Erklärung, wofür er genutzt wird (Liquidität, Hedging, Übergangstitel?).

Performance ist kein Ersatz für Prinzipien

Ein Teil der Dynamik speist sich aus Kursgewinnen: Der europäische Verteidigungssektor hat seit 2022 stark zugelegt. Wer ihn vollständig ausschloss, verfehlte mitunter die Marktperformance. Das erklärt jedoch nur die ökonomische Seite – nicht die normative. Gerade weil die Renditeargumente derzeit stark sind, sollten Anbieter die ethischen Leitplanken umso klarer darlegen: Welche Waffenarten sind ausnahmslos tabu? Gilt ein Umsatzschwellenmodell? Wie wird mit Zulieferern verfahren? Und wie werden menschenrechtliche Risiken entlang der Lieferkette geprüft?

Beispielhafte Offenlegung: Worauf Sie konkret achten sollten

  • Ausschluss kontroverser Waffen: Explizite Nennung (z. B. Streumunition, chemische/biologische Waffen) ist Standard. Fehlt sie, ist Vorsicht geboten.
  • Konventionelle Rüstung: Ist sie generell ausgeschlossen – oder nur oberhalb bestimmter Umsatzschwellen (5 %, 10 %)? Wurden Schwellen jüngst gelockert? Das kann Neuinvestments ermöglichen.
  • Namensführung und Mindestquote: Trägt der Fonds ein ESG-Label im Namen, müssen mindestens 80 Prozent der Anlagen die beschriebenen Merkmale erfüllen. Wie wird das gemessen und berichtet?
  • Engagement-Strategie: Gibt es belastbare Beispiele, wie der Fonds Governance- oder Menschenrechtsstandards bei (Grenz-)Fällen durchsetzt? Bloße Absichtserklärungen genügen nicht.

Dieselbe Überschrift, unterschiedliche Geschichten

„Öko-Fonds“ ist heute keine Garantie für rüstungsfreie Portfolios. Die Regulierung schafft Transparenz, erlaubt aber Spielräume. Gleichzeitig zeigen Umfragedaten, dass Nachhaltigkeit je nach Blickwinkel anderes bedeutet: Für viele Anlegerinnen sind Menschenwürde und Tierwohl die rote Linie; viele Anleger gewichten messbare Klimaziele stärker. Keiner der Ansätze ist „falsch“ – aber sie sind nicht deckungsgleich. Wer investieren will, sollte die eigenen Prinzipien präzise formulieren und mit den Produktregeln abgleichen: Nur dann passt die Rendite auch zum Gewissen.


„Die Produktion von Waffen, ihr Export und ihr Einsatz sind nicht nachhaltig! Krieg ist nicht nachhaltig.“

„Als nachhaltiger Investor können und wollen wir Rüstung (…) nicht direkt fördern.“

„Nuclear weapons are a critical and credible deterrent to large-scale conflict.“

„Nachhaltige Geldanlage ist kein Einheitskonzept.“


Hinweis: Alle Prozentangaben, Zitate und Regeldetails stammen aus aktuellen Veröffentlichungen und Berichten; Methodikhinweise zu Umfragen sind in den Originalquellen dokumentiert.

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