
Bargeld galt lange als Inbegriff von Sicherheit, Freiheit und Anonymität. Es ist das einzige gesetzliche Zahlungsmittel, das ohne technische Infrastruktur funktioniert.
Doch still und leise verändert sich die Verfügbarkeit von Bargeld in Deutschland. Immer häufiger stehen Verbraucherinnen und Verbraucher vor verschlossenen Bankfilialen oder abgeschalteten Geldautomaten. Selbst alltägliche Orte wie Supermärkte oder Drogerieketten reduzieren die Möglichkeit, sich beim Einkauf Bargeld auszahlen zu lassen. Das hat weitreichende Folgen – nicht nur für den ländlichen Raum, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Dieser Artikel beleuchtet den Rückbau der Bargeldinfrastruktur in Deutschland, analysiert die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Gründe für diese Entwicklung und zeigt auf, welche Folgen und Reaktionen sie hervorruft.
Der aktuelle Rückbau: Geldautomaten, Supermärkte und Drogerien
Weniger Geldautomaten – weniger Zugang
Der offensichtlichste Indikator für den Rückzug des Bargelds ist der massive Abbau von Geldautomaten. Während es in Deutschland 2015 noch rund 60.000 Automaten gab, liegt die Zahl heute laut Bundesbank bei unter 50.000 – Tendenz weiter sinkend. Hauptgrund sind die Betriebskosten: Für Wartung, Sicherheit und Befüllung eines Automaten fallen jährlich bis zu 25.000 Euro an. Viele Banken – besonders regionale Sparkassen und Volksbanken – schließen deshalb ihre Automatenstandorte, insbesondere in weniger frequentierten Regionen.
Besonders betroffen ist der ländliche Raum: Menschen müssen mitunter 10 bis 20 Kilometer bis zum nächsten Bargeldautomaten fahren. Ein Zustand, der gerade für ältere oder mobilitätseingeschränkte Personen problematisch ist.
Supermärkte und Drogerien ziehen sich zurück
Lange galten Supermärkte und Drogerien als praktische Alternative zum klassischen Geldautomaten. Ketten wie Rewe, Edeka, dm oder Rossmann boten beim Einkauf unkomplizierte Bargeldauszahlungen ab einem Einkaufswert von 10 oder 20 Euro an. Doch auch hier zeichnet sich ein Trend zur Einschränkung ab. Laut einer aktuellen EHI-Studie aus dem Jahr 2023 wurden über diese Kanäle rund 17,2 Millionen Bargeldauszahlungen durchgeführt – Tendenz allerdings rückläufig.
Für die Händler ist der Bargeldservice ein Zusatzgeschäft, das Kosten verursacht. Für jede Auszahlung fallen Gebühren an, die nicht durch Provisionen gedeckt sind. Daher prüfen viele Handelsketten derzeit, ob sie den Service künftig einschränken oder ganz abschaffen. Erste Stimmen aus dem Handel sprechen sich bereits für Obergrenzen bei Auszahlungen oder ein vollständiges Ende des Angebots aus.
Shell-Tankstellen streichen Bargeldservice
Ein konkretes Beispiel für diesen Trend ist die Ankündigung von Shell, ab dem 1. Juli 2025 keinen Bargeldservice an ihren Tankstellen mehr anzubieten. Die Kooperation mit dem Finanzdienstleister Barzahlen.de endet, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) berichtete. Das bedeutet: An rund 1.200 Tankstellen entfällt eine wichtige Möglichkeit zur Bargeldversorgung – gerade in kleineren Ortschaften, wo Tankstellen oft die einzige Anlaufstelle außerhalb von Banken sind.
Warum der Rückbau stattfindet
Kosten und Wirtschaftlichkeit
Der Betrieb von Bargeldinfrastruktur ist teuer. Banken müssen Sicherheitsunternehmen beauftragen, Automaten regelmäßig warten, nachfüllen und gegen Vandalismus schützen. Die Kosten stehen zunehmend in keinem Verhältnis zum Nutzen – insbesondere seit die Zahl der Bargeldabhebungen kontinuierlich sinkt.
Auch der Handel bekommt die finanzielle Belastung zu spüren. Laut Schätzungen des Handelsverbands HDE zahlen Händler zwischen 0,1 und 0,2 Prozent Gebühr pro Bargeldauszahlung. Bei Millionen von Transaktionen summieren sich diese Beträge schnell zu einem nennenswerten Kostenfaktor.
Digitalisierung des Zahlungsverkehrs
Ein zweiter zentraler Faktor ist das veränderte Zahlungsverhalten der Bevölkerung. Während Bargeld bis etwa 2017 die dominierende Zahlungsform im stationären Handel war, haben Kartenzahlungen und mobile Bezahlmethoden in den letzten Jahren stark aufgeholt. Laut der Bundesbank lag der Anteil der Barzahlungen 2022 erstmals unter 40 Prozent. Besonders junge Generationen greifen fast ausschließlich auf kontaktlose Zahlungen zurück.
Diese Entwicklung wird durch technische Innovationen wie Apple Pay, Google Pay oder Girocard mit NFC weiter beschleunigt. Gleichzeitig fördern auch viele Einzelhändler bargeldloses Bezahlen durch schnelle Kassenprozesse und Hygienemaßnahmen – nicht zuletzt beschleunigt durch die Corona-Pandemie.
Politische und regulatorische Rahmenbedingungen
Auch politische Entscheidungen spielen eine Rolle. Die Europäische Union hat im Rahmen ihrer Geldwäschebekämpfung Obergrenzen für Bargeldzahlungen beschlossen: Ab 2026 dürfen Geschäfte über 10.000 Euro nur noch unbar abgewickelt werden, bei Überschreiten dieser Schwelle ist ein Herkunftsnachweis verpflichtend.
Zugleich sinkt die Akzeptanz von Bargeld auf Verwaltungs- und Behördenseite. Immer häufiger verlangen Ämter oder Gerichte Überweisungen oder Kartenzahlung – selbst dort, wo Barzahlung gesetzlich vorgesehen wäre. Die Bundesbank bemängelte zuletzt, dass das Bargeldmonopol in der Praxis zunehmend untergraben wird.
Folgen für Verbraucher und Wirtschaft
Verlust von Freiheit und Privatsphäre
Bargeld ist das einzige Zahlungsmittel, das anonym und ohne technische Infrastruktur genutzt werden kann. Es bietet Schutz vor Datenprofilierung, Missbrauch von Zahlungsdaten und Kontrolle durch Dritte. Der Rückbau der Bargeldinfrastruktur trifft somit besonders jene, die Wert auf Datenschutz und Selbstbestimmung legen – etwa ältere Menschen, Datenschutzaktivisten oder Menschen in prekären Verhältnissen.
Mehrkosten für Verbraucher
Wird Bargeld schwerer zugänglich, müssen Verbraucher längere Wege auf sich nehmen oder sind gezwungen, auf gebührenpflichtige Automaten Dritter auszuweichen. Dies verursacht nicht nur Zeitaufwand, sondern oft auch zusätzliche Kosten – insbesondere bei Fremdabhebungen von Konten anderer Banken.
Wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen Stadt und Land
In urbanen Zentren ist die Versorgung mit Kartenterminals und digitalen Bezahlmöglichkeiten meist gut. In ländlichen Regionen hingegen fehlt oft die entsprechende Infrastruktur. Schließen dort Bankfilialen und Tankstellen, bleibt vielfach nur der Weg in die nächstgrößere Stadt. Dadurch verstärken sich soziale Ungleichheiten und die Abhängigkeit von Mobilität.
Gegenbewegungen und politische Reaktionen
Nationales Bargeldforum
Im Februar 2024 rief die Bundesregierung erstmals ein Nationales Bargeldforum ein, an dem Vertreter von Bundesbank, Banken, Handel, Politik und Zivilgesellschaft teilnahmen. Ziel war es, die Grundversorgung mit Bargeld als öffentliche Aufgabe zu begreifen und konkrete Maßnahmen zur Sicherung zu entwickeln. Forderungen nach gesetzlichen Mindeststandards für Bargeldautomaten oder barrierefreie Zugangspunkte wurden laut.
Recht auf Barzahlung: Internationale Vorbilder
Andere Länder zeigen bereits, wie der Zugang zu Bargeld gesetzlich geschützt werden kann. In Norwegen wurde 2021 ein Gesetz verabschiedet, das Einzelhändler verpflichtet, Bargeld anzunehmen. Auch Schweden – lange als Vorreiter der bargeldlosen Gesellschaft gefeiert – führte aufgrund massiver Kritik wieder gesetzlich garantierte Bargeldverfügbarkeit ein.
Verbraucherschützer fordern gesetzliche Sicherung
Verbraucherschutzorganisationen wie die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) oder Digitalcourage plädieren für ein gesetzlich garantiertes Recht auf Barzahlung. Sie fordern eine flächendeckende Mindestabdeckung an Geldautomaten, verpflichtende Akzeptanz im öffentlichen Bereich und eine transparente Dokumentation des Rückbaus.
Zukunftsperspektiven: Bargeldresilienz oder völlige Digitalisierung?
Bargeld als Krisenwährung
In Notfällen – etwa bei Stromausfällen, Naturkatastrophen oder Cyberattacken – sind digitale Zahlungssysteme anfällig oder komplett außer Betrieb. Bargeld gilt in solchen Situationen als krisensicheres Zahlungsmittel. Daher fordern Experten, eine gewisse Infrastruktur aufrechtzuerhalten, um die Resilienz der Gesellschaft zu gewährleisten.
Abwägung zwischen Effizienz und Freiheit
Die Gesellschaft steht vor einem Zielkonflikt: Einerseits ermöglichen digitale Zahlungsformen Effizienz, Sicherheit und Komfort – andererseits verlieren Bürger Kontrolle über ihre Zahlungsdaten und geraten zunehmend in technologische Abhängigkeiten. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden, die beide Seiten berücksichtigt.
Wandel mit Konsequenzen
Der Rückbau der Bargeldinfrastruktur ist ein schleichender, aber tiefgreifender Wandel mit weitreichenden Konsequenzen. Er betrifft nicht nur die Art, wie wir zahlen, sondern auch, wie wir über Freiheit, Sicherheit und Teilhabe denken. Der Zugang zu Bargeld darf nicht allein wirtschaftlichen Interessen oder dem technologischen Fortschritt geopfert werden.
Es braucht politische Leitplanken, die die Grundversorgung mit Bargeld sichern. Dazu zählen gesetzliche Mindestanforderungen an Geldautomaten in Gemeinden, barrierefreie Alternativen für Bargeldabhebung im Handel sowie klare rechtliche Vorgaben zur Akzeptanz von Bargeld als Zahlungsmittel. Nur so lässt sich ein Gleichgewicht zwischen Digitalisierung und Freiheit wahren – und das Vertrauen in das Zahlungsmittel Bargeld aufrechterhalten.